Effektive kreative Kollaborativarbeit ist definitiv keine Demokratie, sondern eher eine Diktatur. Es muss einen geben der eine Vision davon hat, wo es hingehen soll. Und diese Rollenverteilung muss auch von der Community akzeptiert werden. Das heißt, egal wie gut deine Ideen sein mögen, sie passen vielleicht nicht in das, was ich mir vorstelle.
Ein interessantes Zitat von Timo Vuorensola aus der Folge „Kollektives Kino: Und alle drehen mit" (Minute 8:00) des Elektrischer Reporters. Timo Vuorensola (Wikipedia) hat 1997 und 2007 in den Community-Filmen der Star Wreck-Reihe Regie geführt und mitgespielt und arbeitet zur Zeit an dem SciFi-Nazi-Comedy-Film „Iron Sky".
Er beschreibt sehr gut die Veränderung von Institutionen zu offenen Netzwerken und in diesem Zusammenhang das Prinzip des Longtails und der 80-20-Regel.
Weil man im Nachhinein Informationen aus Videos schlechter herausfiltern kann als aus Text, hier ein paar Stichworte:
Coordination Costs = All die Kosten, die entstehen, wenn eine Gruppe ein Ergebnis erreichen soll.
Eine Institution zu gründen ist die klassische Antwort, wenn Gruppen etwas erreichen möchte und die Institution ist fortan dafür verantwortlich, die Gruppe zu koordinieren. Gerade die Kommunikationskosten sind dabei enorm.
Die Alternative ist, die Koordination in die Infrastruktur zu verlegen. Die Struktur muss dann ein Beiprodukt bei der Arbeit am eigentlichen Ziel sein.
Tagging in Flickr ist die kollaborative Lösung für das, was klassischer Weise von Bibliothekaren gemacht wird: Kategorisierung.
Flickr löst damit ein Koordinationsproblem: Es gibt viele Menschen mit Fotos im Netz aber nur ein paar mit Fotos von diesem Ereignis. Wie sammelt man diese Fotos?
Die klassische Lösung, eine Institution zu diesem Thema zu gründen, könnte nicht annähernd ein so gutes Ergebnis erzielen.
(Grafik: Links alle Fotos, rot das relevante Foto, rechts abgekapselt die Organisation mit den roten, relevanten Fotos)
Es entstünden dadurch sogar noch weitere Probleme:
Management-Probleme: Man muss Mitarbeiter einstellen. Und dann Mitarbeiter, um die Mitarbeiter zu verwalten.
Struktur: Finanziell, Inhaltlich, Rechtlich und Räume/Gebäude.
Man kann nicht jeden engagieren — Institutionen schließen also immer Menschen aus.
Damit schaffen Institutionen eine neue „professionelle" Gruppe: Aus „Menschen mit Fotos" werden „Fotografen" die per Definition eigene Ziele haben.
Der Flickr-Ansatz ist anders:
(Grafik: Keine Organisation mehr, nur noch rote relevante Fotos die vernetzt sind innerhalb der vielen irrelevanten Fotos.)
Die Kooperation steckt in der Infrastruktur: Man taggt für sich und gleichzeitig für andere.
„You take the problem to the individuals, rather than take the individuals to the problem." — Konkret: Ich tagge mein Foto mit Mehrjungfrauenparade, weil ich es dort gemacht habe, statt erst einer Interessensgemeinschaft beizutreten und dort mein Foto beizutragen.
Dadurch verliert man aus Institutssicht das Recht, die Arbeit der Ehrenamtler zu beeinflussen, gleichzeitig verliert man aber auch all die Kosten.
Flickr ersetzt Planung durch Koordination. — Ein Beispiel dafür: Seitdem jeder ein Handy hat, wird nicht mehr geplant, wann man sich verabreded, sondern man koordiniert sich dann, wenn es an der Zeit ist.
Man kann also Gruppen koordinieren, während man am Thema arbeitet und muss nicht vorher alles geplant haben.
Das gleiche Problem wie bei der Meerjungfrauenparade, aber schlimmer: Mehr Fotos, eine größere Region, mehr Fotografen, eine größere Zeitspanne…
Der Longtail ist entscheidend:
(Grafik: Fotos tagged mit Iraq in Flickr, Y-Achse = Anzahl der Fotos, X-Achse = Fotografen; Minute 6:50 im Video)
Er nennt das eine „power law distribution" und spricht später von einer Pareto-Verteilung.
Die Menschen am Ende der Skala tragen ein n-tel dessen bei, was die Menschen am Anfang beitragen.
Das funktioniert nur in offenen Systemen in denen jeder so viel/wenig beitragen kann, wie er möchte.
Wenn die Systeme größer werden, werden sie nicht nur höher sondern auch viel breiter. Der Durchschnitt ist dann noch weiter nach links verlagert.
Der Durchschnitt in der 80-20-Regel ist nicht in der Mitte
(Grafik: Links in Rot die Top 1, 5 und 10 %, dann die Durchschnittslinie, dann der Pfeil, der die 80 % unter Durchschnitt zeigt. Minute 9 im Video)
Top 10 % der Fotografen haben 75%, also 3/4 der Fotos gemacht
Top 5 % der Fotografen haben 60 % der Fotos erstellt
Top 1 % der Fotografen haben immer noch 25% also 1/4 der Fotos gemacht.
Der Bereich der 80 % kann von Institutionen nicht abgedeckt werden.
„Institutions only have two tools, carrots and sticks" — Sie können also locken, loben und belohnen oder drohen und bestrafen.
Mit diesen Mitteln kann man diese 80 % der Menschen nicht erreichen, weil es zu teuer wäre.
Institutionen sind zufrieden, wenn sie 75 % der Gesamtmenge mit nur 10 % der Personen (als Angestellte) erreichen können.
Andernfalls müsste man das System ändern, um auch an das letzte viertel dranzukommen.
Ein Nutzer, hat nur ein Foto mit dem Tag Iraq hinzugefügt. „The question is ‚do you want that photo yes or no'. The question is not ‚is … (this user) a good employee'".
Institutionen als Enabler (Möglichmacher) oder Institutionen als Obstacle (Hindernis)
Probleme von Institutionen
Wenn man eine Institution gründet, wird ihr vorrangiges Ziel sein, sich selbst zu erhalten — egal, welches Ziel sie ursprünglich vorrangig verfolgten.
Beispiel aus Frankreich, wo eine Bus-Firma Menschen verklagt, weil sie Car-Sharing betreiben. (Originalquelle)— Sprich: Statt das ursprüngliche Ziel, Menschen zu mobilisieren zu verstärken, wird aus Selbsterhaltungsgründen gehandelt.
Beispiel: Linux und die vielen 1-Patch-Contributor
Das gleiche Prinzip: Linux hat viele Entwickler, die nur einen Patch beitragen. Aber diese vielen Einzelpatches, verbessern das System entscheidend.
Beispiel: Weblogs als neue Form des Journalismus. Aber was ist mit den Gesetzen, die Journalisten schützen, wenn Blogger Journalismus betreiben?
Die Frage sollte jedoch nicht sein, ob Blogger Journalisten sind.
Journalismus war die Antwort auf die Frage, wie eine Gesellschaft sich informiert und Ideen und Meinungen teilt.
Wenn jetzt außerhalb der professionellen Institution des Journalismus diese Frage beantwortet wird, macht es keinen Sinn, die Lösungen für die Institution auf das neue Netzwerk zu stülpen.
Negativ-Bespiel: Pro-ana Support-Gruppen — Gruppen von Jugendlichen, die sich zusammengetan haben, um ihre Magersucht aufrecht zu erhalten. Sie nutzen dafür verschiedene kollaborative Methoden um Tipps auszutauschen und ihre Gemeinschaft zu pflegen.
Supportgruppen sind erst mal neutral und haben kein „gutes" oder „schlechtes" Ziel.
Bisher waren wir aber nur „gute" Supportgruppen gewohnt, weil bisher immer Institutionen mit ihrem Wertemodel den Rahmen für Supportgruppen gegeben haben.
Wenn das System selbst die Gruppen ermöglicht, entstehen auch „schlechte" Gruppen.
Diese Veränderung braucht Zeit und Chaos
In den nächsten 50 Jahren werden locker organisierte Gruppen immer mehr Macht bekommen und die alten planerischen und profitorientierten Modell an Macht verlieren.
Institutionen werden weiter unter Druck geraten — insbesondere wenn sie sich nicht öffnen und auf ihr Informationsmonopol bestehen.
Das wird eine Institution nach der anderen betreffen. „The forces are general but the results are going to be specific."
Da wir sehen was passiert und wissen, was kommen wird, schlägt Clay Shirky vor, „we might as well get good at it".
… aber dafür ist stellt Google seine Funktion offen für alle Fotos der Fotocommunity Panoramio ins Netz. Dort kann man nämlich seit dem 3. Juni auch „umher gucken" und ausgehend von einem Foto, andere Perpektiven anschauen. In dem dazugehörigen Panoramio-Blogpost heißt es, man müsse nur ca. 20 etwas überlappende Fotos von einem Ort machen und alle paar Wochen würde das System dann neue „look arounds" (dt. „umsehen") hinzufügen. — Super, darauf warte ich bei Microsoft schon seit langem.
Photosynth ist eine Software, die es erlaubt, kollaborativ Fotos in einem 3D-Raum zu mappen. Photos zu einem bestimmten Ort werden dabei automatisiert neben-/über-/aneinander sortiert. So entsteht eine räumliche Sicht des Ortes (in den Videos als weiße Punkte zu sehen). Photosynth erlaubt es unter anderem, innerhalb dieser 3D-Landschaft herumzufliegen. Man kann einzelne Fotos anschauen, Fotos im Kontext mit ähnlichen/zusammenhängenden Bildern sehen oder im Raum näher heranzoomen und bekommt dann Detailaufnahmen angezeigt.
Das ganze erinnert ein wenig an die visuelle Suchmaschine Riya. Während Riya versucht die Fotos im Web per Text- und Gesichtserkennung zu indizieren, geht der MS-Laps-Ansatz auf den Raum ein.
Ton bemerkt richtig, dass der MS-Laps Ansatz insbesondere deswegen interessant ist, weil er kollaborativ denkt. Man soll also Fotos aus unterschiedlichen Quellen irgendwie berücksichtigen können.
Verbindet man dies wieder mit anderen Tools kann ich Ton nur zitieren: „It would certainly blur the demarcation of on- and off-line."
Andreas hatte den richtigen Riecher für dieses Thema, dem jetzt auch Spiegel-Online unter dem fast filmreifen und etwas reißerisch-übertriebenen Titel »Die Rache der Ranking-Opfer« einen Artikel widmet.
Inhaltlich erfährt man bei Spiegel nicht Neues. Andisblog- und flyingsparks-Leser kennen das (fadenscheinige) Argumente-Hin-und-Her.
Aber vielleicht versteht die RWTH den Artikel als zusätzlichen Gegenwind und kommt zur Vernunft…
Anfang des Jahres haben wir eine spezielle Version von Photomesa eingesetzt, um die Fotos aus unserem Stammesarchiv kollaborativ zu sortieren — mehr über PhotoMesa Client/Server.
Bald darauf hatte Hyunmo Kang, der das Projekt hauptsächlich voran bringt, mir einen internen Link zur neuen Version PhotoMesa 3.1 geschickt. Inzwischen ist diese kostenlose Version offiziell veröffentlicht. Ihr könnt sie auf der Seite von Windsor Interface herunterladen.
PhotoMesa is a zoomable image browser. It allows the user to view multiple directories of images at once, and uses simple navigation commands to smoothly zoom in and out.
Diese ZUI-Technik auf der Photomesa basiert, ist immer noch einmalig unter den Photoalben. Ich hoffe, dass die neue Strategie das Programm selbst kostenlos zu verteilen aber die ZUI-Technik als Lizenz für andere Projekte zu verkaufen, aufgeht und es bald noch besser optimierte Lösungen gibt.